Die Selbsternannten

Es ist natürlich keine Neuigkeit, dass in der Sportberichterstattung eine Menge Phrasen gedroschen und Floskeln überstrapaziert werden. Es gibt auch zahlreiche Begriffe, die offenbar nur in Kombination mit bestimmten Adjektiven verwendet werden dürfen, denken wir beispielsweise an das legendäre Wembley-Tor oder einen lupenreinen Hattrick – dass Geoff Hurst in jenem Endspiel insgesamt drei Tore schoss, die zwar nach englischem Verständnis sehr wohl ein Hattrick, nach deutschem aber eben „nur“ drei über das Spiel verteilte Tore waren, sei nur am Rande bemerkt.

Ein, zumindest nach meiner Beobachtung, Neuankömmling in dieser Kategorie der zwanghaft zu verwendenden Adjektive ist selbsternannt und zwar, wann immer es um einen Aufstiegsaspiranten geht. Völlig egal, ob der betreffende Verein sich tatsächlich mal als Favorit bezeichnet hat oder nicht, immer ist die Rede vom „selbsternannten Aufstiegskandidaten“.

Vor der aktuellen Drittligasaison hat meines Wissens nach kein einziger Vertreter der zwanzig teilnehmenden Vereine behauptet, dass man fest damit rechne, nächstes Jahr in der 2. Bundesliga zu spielen. Natürlich wurden auch vor dieser Saison die Trainer genötigt, die aus ihrer Sicht am ehesten für den Aufstieg in Frage kommenden Teams zu benennen, und dabei wurden – in dieser Liga nicht weiter überraschend – mindestens zehn verschiedene Mannschaften genannt, manche öfter (z. B. Heidenheim, Leipzig, Münster Chemnitz), manche seltener (z. B. Regensburg, Saarbrücken, Duisburg oder auch der SVWW). Der einzige Trainer, der soweit ging, seine Mannschaft selbst „zum Kreis der Mannschaften, die aufsteigen können“ zu zählen, war Heidenheims Frank Schmidt – alle anderen wurden, wenn überhaupt, von anderen genannt. Das Attribut „selbsternannter Aufstiegskandidat“ wäre also höchstens für Heidenheim zutreffend, wobei das unterschlägt, dass so ziemlich alle anderen Trainer das ebenfalls so sahen. Zudem schwingt in dieser Formulierung ja auch immer ein bisschen mit, dass nur der Betreffende das so sieht, aber der Rest der Welt eben nicht – was bei Heidenheim ja nun gerade nicht der Fall war.

Ungeachtet dessen wird ständig von „selbsternannten Aufstiegskandidaten“ geschrieben. Auf der Homepage des SVWW wurden z. B. der 1. FC Saarbrücken oder der Chemnitzer FC mehrfach derart „geadelt“, der kicker bezeichnete Preußen Münster so (ok, da gab es wohl das Zitat „wir wollen besser als Platz 4 abschneiden“) und aktuell ist Reviersport an der Reihe, den SVWW so zu nennen – wobei irreführenderweise nur vom SV Wehen (ohne Wiesbaden) die Rede ist.

Aber lassen wir es damit gut sein. Fest steht, dass der SVWW morgen gegen den BVB II gewinnen muss, um vielleicht tatsächlich ein Aufstiegskandidat zu werden. Ob selbsternannt oder nicht, spielt dann auch keine Rolle.