Interview mit Fedor Freytag: „Fußballvereine sind Hysteriegemeinschaften“

Morgen gastiert mit dem FC Rot-Weiß Erfurt einer der „Dauerbrenner“ der Dritten Liga in der Brita-Arena. Aus diesem Anlass hatte ich das besondere Vergnügen, mich mit dem RWE-Blogger-Kollegen Fedor Freytag zu unterhalten.

 

Hallo Fedor, möchtest Du Dich kurz vorstellen? Wie kam es zu Deinem Pseudonym Fedor Freytag?

Aus beruflichen Gründen wollte ich ein Pseudonym für den Blog. Mein Großvater war ein leidenschaftlicher Leser des Dichters Gustav Freytag, der nur ein paar Dörfer weiter in Siebleben bei Gotha wohnte. Nach einem Glas Rotwein zuviel konnte ich schlussendlich der Alliterationsversuchung nicht widerstehen. Ansonsten bin ich Anhänger von Rot-Weiß Erfurt seit frühen Kindertagen. Seit mehr als zwei Jahren gibt es den Blog stellungsfehler.de.

Der FC Rot-Weiß Erfurt ist einer von vier Dauergästen in der 3. Liga und momentan noch Erster der ewigen Tabelle. Wie sehr schmerzt der bevorstehende Verlust dieser “Tabellenführung”?

Man sollte sie besser Loser-Tabelle nennen. Die Spitzenreiterschaft in dieser Tabelle ist eher Alptraum als Traum. Je länger der FC Rot-Weiß Erfurt in der 3.Liga spielt, desto schwindsüchtiger werden unsere Finanzen. Ohne gravierende externe Geldquellen ist ein Abstieg aus der Liga quasi nur eine Frage der Zeit. Es ist wie beim Rodeo, irgendwann wirst du abgeworfen. Die 3. Liga bietet eben kein auskömmliches Habitat, so wie die oberen beiden Profiligen. Selbst Aufsteiger wollen sie so schnell wie möglich hinter sich lassen. Eine mögliche, aber durchaus fragile Alternative wird in Erfurt umgesetzt: die schnelle Integration eigener Nachwuchsspieler. Fragil deswegen, weil die Balance zwischen dem lukrativen Verkauf junger Talente und ihrem Ersatz sehr schwierig ist. Nicht nur sportlich.

Letzte Saison steckte RWE lange im Abstiegskampf, in dieser hält man sich in Reichweite der Auftstiegsplätze auf. Bist Du überrascht über die Entwicklung oder war das absehbar?

Ja, ich bin sehr überrascht. Man darf nicht vergessen, dass wir, wie vor jeder Saison, mit Morabit, Oumari und Drexler sehr gute Fußballer abgeben mussten. Aber Walter Kogler hat schon in Innsbruck bewiesen, dass er mit überschaubaren Mitteln viel erreichen kann. Das leistet er auch in Erfurt. Die Spieler haben klare Vorgaben, die auch taktisch nicht überkomplex sind und können diesen gut folgen. Individuelle Fehlleistungen, die nicht zuletzt ursächlich für die letzten Niederlagen sind, muss man einer jungen Mannschaft ebenso nachsehen wie Leistungsschwankungen.

Was erhofft man sich in Erfurt vom Rest der Saison? Schielt man noch mit einem Auge auf Platz 3?

Nein. Das kann man abhaken. Neben Heidenheim spielen auch Leipzig und Darmstadt sehr stabil. Im Falle der Darmstädter ist das überraschend. Wir werden auf einem soliden Mittelfeldplatz landen, was in Anbetracht der letzten Saison ein Segen ist. Wenn es gelänge die Mannschaft weiter zu verstärken, dann könnten wir in der kommenden Saison über neue Ziele reden. Sagt jemand, der Planbarkeit im Fußball eigentlich zurückhaltend beurteilt.

Aykut Öztürk hat in der Winterpause in letzter Minute den Verein Richtung Türkei verlassen. Beim SVWW weckt das Erinnerungen an seinen Wechselversuch vor einigen Jahren – ist bekannt, ob Sivasspor die Ablösesumme (gerüchteweise knapp 300.000 Euro) tatsächlich überwiesen hat?

Ich habe nicht Gegenteiliges gehört. Wenn die kolportierten Summen auch nur ansatzweise stimmen, dann befindet sich RWE in einer Situation, wo man ein solches Angebot nicht ablehnen kann. Hoffen wir mal, dass der Buchhalter von Sivasspor mit dem Begriff IBAN was anfangen kann.

Das Geld für Öztürk kann RWE sicher gut gebrauchen, aber wie schwer wiegt der sportliche Verlust?

Aykut Öztürk hat eine brauchbare Rückrunde in der letzten Saison gespielt und sehr gute Spiele in der Vorrunde dieser Saison. Sportlich ist sein Verlust bedauerlich, weil wir weniger Optionen in der Offensive haben. Einerseits. Andererseits neigte er zuweilen dem Heldenfußball zu. Defensiv ohnehin mit Mängeln, die oft von einem sehr gut spielenden Raffael Czichos ausgebügelt wurden. Ich denke, dass Drazan, der aus Kaiserslautern ausgeliehen wurde, letztendlich der variablere Spieler ist. Das sah in Duisburg teilweise schon richtig gut aus.

Wehens Sportdirektor Michael Feichtenbeiner war vor über zehn Jahren als Trainer in Erfurt tätig. Ist das eine längst vergessene Episode oder hat er bleibende Eindrücke hinterlassen?

Damals habe ich noch in Berlin gelebt und war etwas weiter weg von meinem Heimatverein. Deshalb kann ich über seine Arbeit so viel nicht sagen. Aber ich denke, für die Anhängerschaft des RWE liegt diese Zeit in etwa so weit zurück wie der 30jährige Krieg. Macht er denn hier einen guten Job? Der Eindruck drängt sich nicht zwingend auf. Bei allem Respekt.

Schwer zu sagen. Von den von ihm verpflichteten Spielern haben es jedenfalls noch nicht sehr viele in die Stammelf geschafft, einige sind sogar schon wieder weg. Und ob „sein“ Trainer Marc Kienle den SVWW wirklich voranbringt, ist auch noch nicht absehbar.

Aber zurück zu RWE. Der FC Carl Zeiss Jena ist letzte Saison in die Regionalliga abgestiegen. Gab es ein bisschen Schadenfreude oder vermisst Du den ewigen Rivalen?

Beides. Die Spiele gegen Jena waren schon so etwas wie der Höhepunkt einer Drittligasaison. Außerdem waren sie ein guter Zahltag, für einen chronisch klammen Verein wie unseren kein geringes Argument. Ich bin ja in den 70er und 80er Jahren fußballerisch sozialisiert worden. Gerade in den 80ern hieß der Staatsfeind Nr. 1 in Erfurt nicht Jena, sondern Dynamo Berlin. Von daher überraschte mich das Ausmaß an Abneigung gegen Jena als ich 2003 wieder nach Erfurt zog. Aber Fußballvereine sind Hysteriegemeinschaften. Ein Teil der Anhänger benötigt offensichtlich einen externen Feind. Das ist konstitutiv. Und verlagert sich in Erfurt gerade von Jena in Richtung RB Leipzig, dem neuen Lieblingsteufel der Dauer-Hater.

Zählen – in Abwesenheit von Jena –  außer RB Leipzig auch Halle oder Chemnitz zu den neuen Lieblingsgegner der Erfurter Fans? ?

Dies kann man gut an den Zuschauerzahlen ablesen. Das Spiel gegen RB ist eindeutig der Topseller der Saison. Gegen Chemnitz und den HFC waren nicht signifikant mehr da als gegen Darmstadt und Heidenheim. Mir persönlich fehlen die Offenbacher Kickers, aus persönlichen Gründen und weil es mir weht tut, den Verein in der Regionalliga herumdümpeln zu sehen.

Mit Cottbus, Dresden und Aue könnten gleich drei Ost-Vereine aus der 2. Liga absteigen. Bedauerst Du das oder freust Du Dich auf mehr Traditionsduelle in der nächsten Drittligasaison mit kurzen Wegen zu Auswärtsspielen?

Für Cottbus besteht wohl kaum noch Hoffnung. Irgendwie auch traurig, nachdem man dort sehr lange Zeit sehr viel richtig gemacht hat. Anders sind nunmehr 16 Jahre ununterbrochene Zugehörigkeit zur 1. und 2. Liga nicht erklärbar. Für jeden der drei Vereine gilt, sollten sie denn absteigen: Sie werden vieles aufbieten, um sofort wieder nach oben zu kommen. Für unsere potenziellen Aufstiegsambitionen in der nächsten Saison sehe ich das also eher ambivalent.

Erfurt wartet noch auf den ersten Sieg nach der Winterpause. Wieso klappt es am Samstag in Wiesbaden?

Dankbare Frage. Ich denke, dass die Mannschaft in Duisburg eine sehr ansehnliche erste Halbzeit abgeliefert hat. Die linke Seite mit Czichos und Drazan sah richtig gut aus. Patrick Göbel traut sich immer mehr zu und ist stets für eine überraschende Offensivaktion gut. Pfingsten-Reddig ist deutlich besser als in den ersten Spielen nach der Winterpause. Wenn es gelänge, mal zwei vernünftige Halbzeiten in ein Spiel zu packen, dann hat der FC Rot-Weiß Erfurt gute Karten auf einen Sieg. Hofft der Fan und Blogger. Meine linke Gehirnhälfte weiß jedoch, dass die tatsächlichen Chancen äußerst ausgeglichen sind.

Fedor, herzlichen Dank für das Gespräch!

Fedor Freytag bloggt auf stellungsfehler.de und ist in Twitter als @FedorFreytag zu finden.