Schwedische Ultras und Hüpfburgen

Allsvenskan, 11. Spieltag: Djurgårdens IF – Kalmar FF 1:0

30.05.2013, Olympiastadion Stockholm, 7.208 Zuschauer

Fronleichnam – das letzte lange Wochenende bis Oktober galt es auszunutzen, was bei uns üblicherweise heißt: Koffer (bzw. Trolley) packen und nichts wie weg. Stockholm hieß das Ziel – letztes Jahr zum ersten Mal besucht, für sehr gut befunden, kann man öfter hin.

Da das aber auch bedeutete, dass ich das DFB-Pokalfinale nicht zuhause mit Gleichgesinnten anschauen können würde, konnte ich immerhin einen Stadionbesuch in Stockholm bei der Gemahlin raushandeln. Glücklicherweise spielt die schwedische Liga im Kalenderjahr, ist also noch mitten in der Saison, und das „am zentralsten“ gelegene Team der Stadt, Djurgårdens IF, hatte ein Heimspiel am Donnerstag – perfekt.

Meine Tochter schloss sich mir an und als wir zum Stadion radelten, waren wir schon etwas überrascht, in der Menschenmenge davor einen Typen mit Pappschild mit der Aufschrift „Need ticket“ zu sehen. Sollte das Spiel etwa ausverkauft sein? An einem Donnerstagabend (der in Schweden kein Feiertag ist) gegen ein Team aus einer fünf Autostunden entfernten Stadt und das nicht gerade der Erzrivale ist? Am Eingang dann aber Entwarnung, es gab noch ausreichend Karten – an diesem Eingang allerdings nur für den Hintertorbereich. Ich wollte lieber etwas näher am Supporterblock sein, also weiter zum Eingang auf der Westseite, wo es aber keinen Verkaufsschalter gab, sondern nur Einlass für Karteninhaber. Man schickte uns zurück, wo wir gerade herkamen. Wir entdeckten einen einigermaßen offiziell aussehenden Kartenverkäufer auf der Straße, der zwar selbst keine Tickets mehr für den gewünschten Bereich hatte, aber einen Kollegen anrief. Der Preis sollte 300 Kronen pro Karte für die Plätze an den Geraden sein oder 200 Kronen für die Hintertorkurve. Der Kollege kam schließlich, aber mir war nach kurzem Umrechnen 35 Euro dann doch etwas viel, die billigere Kategorie würde es auch tun. Als dann nun 500 Kronen für zwei Karten verlangt wurden, schaute ich ihn mehr als skeptisch an. Er verbesserte sein Angebot hastig auf 400, aber ich war misstrauisch geworden – Schweden ist zwar generell kein ganz billiges Vergnügen, Abzockerei war mir hier jedoch neu. Auf den Tickets war ein Preis von „SEK 0“ aufgedruckt, aus welchen Quellen das auch immer stammen mochte. Wir verzichteten dankend, gingen zur Kasse am Eingang, an der wir vorher schon mal waren – und siehe da, mit 180 Kronen pro Nase waren wir dabei.

DIF spielt im Olympiastadion von 1912, was die Sache noch interessanter machte. Ich bin an sich kein großer Stadion-Nostalgiker und dem Trend, jede Bruchbude mit vergammelten Tribünen als „Kultstätte“ zu glorifizieren, mag ich mich überhaupt nicht anschließen, aber hier ist es ganz anders. Der Baustil stammt wahrlich aus einer anderen Zeit. Die Grundform ist ein U mit Überdachung für den jeweils oberen Teil der Ränge und einer abschließenden, unüberdachten Tribüne auf der Nordseite. Durch die Holzbalken, die das Dach tragen, müssten nach heutigen Maßstäben die meisten Plätze als „sichtbehindert“ deklariert werden, aber in dieser Umgebung fand ich das genauso passend und charmant wie die einfachen Sitzbänke aus Holz, die mich an meinen ersten Besuch im Frankfurter Waldstadion Mitte der 80er erinnerten. Eindeutig nicht zur Erstausstattung gehört die große Videowand, auf der nicht nur der Spielstand, Auswechslungen usw. dargestellt, sondern das komplette Spiel gezeigt wurde. Die Nordtribüne wird von zwei großen Türmen flankiert, an denen auch noch große Fahnen befestigt sind, sodass man ein bisschen den Eindruck einer mittelalterlichen Burg bekommt – allerdings verzichtete man erfreulicherweise auf Ritterspiele vor Anpfiff. Stattdessen fand geradezu ein Volksfest statt. Außer Imbiss- und Getränkeständen gab es ein Bierzelt für die Großen und zahlreiche Belustigungen wie Glücksrad, Geschicklichkeitsparcour, Hüpfburg usw. für die Kleinen. Brauchte ich jetzt nicht unbedingt, aber gegen die allgemein gute Laune sowie das dazu passende sommerliche Wetter hatte ich natürlich nichts einzuwenden.

Für den Einlauf der Mannschaften hatten die Ultras von DIF nicht nur eine Blockfahne und viele Fahnen vorbereitet, sondern das ganze zweimal, nämlich in unterschiedlichen Farben bzw. Motiven. Der schnelle Wechsel vom einen zum anderen Motiv war recht beeindruckend und sehr hübsch anzusehen. Der Support war außerordentlich gut, nicht nur aus dem Ultra-Block, sondern auch von den Fans auf der gegenüberliegenden Seite. Die Melodien der Lieder waren die bekannten Klassiker, die man auch in deutschen Stadien mit jeweils angepassten Texten hört, aber sehr erfreulich fand ich, dass tatsächlich viel gesungen wurde und nicht nur zweisilbige Schlachtrufe, „Allez, allez“ u. ä. zu hören waren. Die Anfeuerungen der wenigen Gästefans am anderen Ende des Stadions waren von meiner Position aus nicht hörbar.

Das Spiel war nett anzuschauen. Beide Teams spielten offensiv nach vorne, aber an der Chancenverwertung haperte es enorm. DIF ging nach einer Viertelstunde in Führung und bei diesem 1:0 blieb es bis zur Halbzeit. In der Pause wurden ältere Herren, teils bierbäuchig, in Trikots präsentiert – vermutlich handelte es sich um Stars von früher, denn es gab reichlich Applaus von den Rängen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit zündelten die Ultras tüchtig, aber das schien niemanden so richtig zu stören. Ich fragte mich schon, ob das in Schweden möglicherweise offiziell toleriert würde, aber nachdem noch zwei weitere Male bengalische Feuer gezündet wurden, gab es dann doch Lautsprecherdurchsagen. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel einige Minuten, bis sich der Rauch verzogen hatte, aber das war’s dann auch. Die zweite Hälfte verlief ähnlich wie die erste, nur Tore wollten trotz einiger sehr guter Chancen auf beiden Seiten nicht fallen. Nach 90 Minuten plus sechs Minuten Nachspielzeit war es geschafft, Djurgården gewann mit 1:0 und verließ damit zum ersten Mal in dieser Saison das Tabellenende.

Hier gibt es einige Fotos und ein paar Video-Schnipsel.