Wenn einem vom Kopfschütteln schwindlig wird

Der vergangene Montag war mal wieder so ein Tag, an dem ich aus dem Staunen nicht mehr rauskam. Leider waren die meisten Überraschungen eher von der unangenehmen Sorte. Aber der Reihe nach.

Wir hatten aufgrund einer kurzfristigen Absage noch ein Ticket übrig und wollten das vor dem Stadion verkaufen. War auch weiter kein Problem, es gab genug Interessenten. Ein Typ, eher Modell Pfandflaschensammler, ergriff die Gelegenheit und handelte noch den regulären Preis von 11 auf 10 Euro herunter, was Frank in seiner unendlichen Großzügigkeit auch akzeptierte. Nachdem er die absolut originale und unverknickte Karte im Tausch gegen zwei äußerst gebrauchte 5-Euro-Scheine erhalten hatte, fragte er, ob er dann damit auch problemlos ins Stadion komme. Wir hingegen hatten eher Bedenken, dass die Echtheit der Scheine am Bierstand in Frage gestellt werden könnte.

Nun gut, also hinein in die Einlasskontrolle. Plötzlich wusste ich wieder den Vorzug eines höchstens halbvollen Stadions zu schätzen, denn die recht lange Schlange wollte sich kaum vorwärts bewegen. Und wofür habe ich eigentlich eine Dauerkarte, wenn der separate Eingang genauso überfüllt ist? Interessant auch die Anweisung des Oberkontrolleurs an den Unterkontrolleur, schneller zu kontrollieren, was in alibimäßigem Abklopfen der Jackentaschen und sofort anschließendem Durchwinken resultierte. Da hätte ich aber gelacht, wenn doch einer ein paar Bengalen mitgebracht hätte.

Die Erheiterung über die ersten beiden Ereignisse war beim Betreten des Blocks allerdings sofort verflogen. Was vor allem damit zusammenhing, dass das Betreten gar nicht so leicht war. Erst hatten die beiden Stempelheinis am Eingang des Blocks alle Zeit der Welt und interessierten sich nicht die Bohne dafür, dass die wartende Menge primär zum Fußballschauen und nicht zum Bestempeltwerden gekommen war (wo war in diesem Moment jemand mit einem kleinen bisschen Überblick und einem kleinen bisschen Autorität wie der Oberkontrolleur vom Stadioneingang?), dann war die Treppe völlig überfüllt und das Betreten des Blocks nahezu unmöglich. Die Ordner waren natürlich völlig überfordert mit der Situation. Schon lustig, wenn nur 6.000 Leute im Stadion sind, wird peinlich genau darauf geachtet, dass kein Zuschauer auf den Auf- und Abgängen steht, aber dann wenn’s nötig wäre Ordnung zu schaffen, herrscht heilloses Chaos. Extremst clever auch die (vermutlichen) Erstbesucher, die fast ausfällig wurden ob des Hinweises, dass sie sich doch bitte ein wenig in den Block hineinbegeben möchten. Nachdem wir uns mit sanfter Gewalt an diesem Engpass vorbeigekämpft hatten, war plötzlich – oh Wunder – reichlich Platz vorhanden.

Aber endlich vorbei mit dem Vorgeplänkel, das Spiel ging los. Und nun begann das größte Staunen des Abends: die Mannschaft des SV Wehen Wiesbaden spielte richtig gut! Sie erabeitete sich richtige Torchancen – bis dahin konnte ich mich an das Bild eines rotschwarz gekleideten Fußballers im gegnerischen Strafraum nur noch schemenhaft erinnern, aber tatsächlich, es gab Gelegenheiten für den SVWW, in Führung zu gehen gegen den Favoriten in diesem Nachbarschaftsduell (ich vermeide absichtlich den Begriff „Derby“, der einerseits sowieso inflationär oft im Sportreporterjargon verwendet wird und andererseits muss ich Christian Heidel, dem Manager von Mainz 05, Recht geben, der vor dem Spiel sagte, dass die Brisanz dieses Spiels in der nachbarschaftlichen Rivalität zwischen Wiesbaden und Mainz begründet sei, aber nicht in einer langen Derby-Tradition). Die beste und eindeutigste Chance auf ein 1:0 des Außenseiters vergab Sanibal Orahovac mit einem Strafstoß, den Dimo Wache abwehren konnte.

Spätestens in diesem Moment entpuppten sich – nicht ganz unerwartet – so manche N5-Besucher als Sinnesgenossen des albernen Clowns, der in W4 auf der Bande saß, rein zufällig gut sichtbar für die Kameras. Diese Person ist meiner bescheidenen Meinung nach eines der verabscheuungswürdigsten Phänomene der Bonbon-Werfer von der anderen Rheinseite, aber was soll’s, auch der hat (hoffentlich) Eintritt bezahlt. Ein paar freche Jubler direkt vor mir bekamen meinen Frust über den verschossenen Elfer direkt ab, indem ich sie des Blocks verweisen wollte, mit dem dezenten Hinweis, dass sie hier offensichtlich falsch seien. Lustigerweise wollte der so Gescholtene sich ausgerechnet auf fairen Sportsgeist etc. berufen – mit welchem Sportsgeist stellt man sich denn in den gegnerischen Fanblock und jubelt auch noch unverhohlen? Ich sag’s ja, ein gar sonderbarer Abend.

Zurück zum Spiel. Trotz der vergebenen Gelegenheit übte Wehen weiterhin Druck auf den Gegner aus und kam zu weiteren Chancen. Aber, und hier wurde ich leider nicht überrascht, der Ball wollte nicht ins Tor. Zumindest nicht in das der Mainzer. In unseres schon und zwar gleich bei der ersten richtigen Chance für die Gäste. 0:1  – und der regelmäßige Besucher von Spielen mit Wehener Beteiligung wusste, was folgen würde. Immerhin traute sich der Undercover-Mainzer vor mir sich nicht noch mal offen zu jubeln. Lesson learned, Freundchen, und beim nächsten mal rechtzeitig um Karten kümmern, dann darfst Du auch auf der anderen Seite stehen.

Erfreulicherweise fand die Wehener Offensive im zweiten Durchgang ihre Fortsetzung, leider auch die notorische Unfähigkeit das Tor zu treffen. Entweder brauchten die Wiesbadener Spieler schlicht zu lange, um zum Schuss zu kommen (Ronny!!), oder sie machten es viel zu kompliziert oder Wache wehrte halt ab. Es war schon sehr interessant, wie heftig die Mainzer Abwehr am Schwimmen war – Junge, Junge, wenn die so nächstes Jahr in der ersten Liga auftreten, können sich die Narrenkappen schon mal auf eine Saison einstellen, wie wir sie derzeit erleben.

Wie auch immer, nach etwa 20 Minuten in der zweiten Halbzeit ließ der Druck der Wiesbadener nach und Mainz bekam die Sache besser in den Griff, auch ohne wirklich gut zu spielen. Eher hatten sich jetzt beide Mannschaften auf niedrigem Niveau eingependelt, mit Fehlpässen und blind nach vorne geschlagenen Bällen hüben wie drüben. Als ich schon mit einem Endstand von 0:1 rechnete, immerhin unser Standardergebnis der letzten Wochen, erzielten die Gäste in der Nachspielzeit noch das 0:2, danach wurde das Spiel gar nicht mehr angepfiffen.

Am Ende also ein Resultat, das vorher keinen überrascht hätte, aber nach dem Spielverlauf für den SVWW recht bitter und für die Mainzer etwas schmeichelhaft ist. Aber die eklatante Schwäche beim Erzielen von Toren auf der einen und das Gegenteil, die große Effizienz, auf der anderen Seite, sind eben auch wesentliche Gründe, warum die einen wahrscheinlich bald in der dritten und die anderen möglicherweise in der ersten Liga spielen werden.

Man kann unserer Mannschaft, abgesehen eben von der Chancenverwertung, eigentlich keinen Vorwurf machen. Einsatz, Leidenschaft, erarbeitete Chancen, alles da, das beste Spiel seit Wochen. Normalerweise könnte man auf dieser Leistung aufbauen und einigermaßen zuversichtlich in die nächsten Spiele gehen – wenn da nicht schon sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz wären und nur noch zehn Spiele, um diesen Rückstand aufzuholen.

Aber, und auch wenn es nur eine Durchhalteparole ist: rechnerisch ist noch nichts verloren, vorher geben wir nicht auf.