Interview mit Marc Kienle: „Ole ist ein absoluter Schlüsselspieler“

Der Ligabetrieb ruht am kommenden Wochenende und der SV Wehen Wiesbaden darf als Tabellenführer verschnaufen. Eine hervorragende Gelegenheit, sich mal mit Trainer Marc Kienle zu unterhalten.

 

Herr Kienle, das erste Drittel der Saison ist geschafft, der SVWW steht auf Platz 1. Sind Sie selbst überrascht oder hatten Sie das insgeheim sogar erwartet?

Marc Kienle (Foto: SVWW)
Marc Kienle (Foto: SVWW)

Wir hatten uns vorgenommen, vorne mit dabei zu sein – das haben wir zurzeit geschafft, aber der aktuelle Tabellenstand ist definitiv nur eine Momentaufnahme. Wie von uns erwartet, liegt in der Liga alles eng zusammen, zwischen Platz 1 und 6 sind es nur zwei Punkte. Wenn man die namhafte Konkurrenz wie Dynamo Dresden, MSV Duisburg oder Arminia Bielefeld betrachtet, sind wir garantiert nicht der Top-Favorit, diese Rolle wurde uns von außen aufgedrängt.

26 Punkte nach 13 Spielen – wenn man den Schnitt von zwei Punkten pro Partie auf die Saison hochrechnet, würde man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem Aufstiegsplatz landen. Ist die Mannschaft reif genug, es bis zum Ende “durchzuziehen”?

Im Vergleich zur letzten Saison hat sich die Mannschaft auf jeden Fall positiv weiterentwickelt und sich in allen Bereichen verbessert. Dabei darf man nicht vergessen, dass wir einige junge Spieler wie Sebastian Mrowca, Daniel Wein oder Luca Schnellbacher integriert haben, die perspektivisch sehr interessant sind, aber auch noch Zeit brauchen. Wir werden weiterhin täglich konzentriert arbeiten, um diese Entwicklung, in der wir immer noch stecken, voranzubringen.

Sie sind jetzt fast ein Jahr beim SVWW und haben mit 1,62 Punkten im Durchschnitt die beste Ausbeute aller Trainer seit dem Zweitligaaufstieg 2007. Trotzdem gab es bis vor ein paar Wochen teilweise recht deutliche Kritik in der Anhängerschaft. Fehlt Ihnen die Anerkennung?

Ich habe dies nicht so empfunden. Im Gegenteil: Ich fühle mich sehr wohl beim SVWW und mir macht die Arbeit sehr viel Spaß. Ich spüre auch viel Zuspruch, wenn ich in der Stadt mal einen Kaffee trinken gehe und Menschen treffe, denen der SVWW am Herzen liegt. Aber im Fußball allgemein sind die Schwankungen zwischen Zuspruch und Ablehnung sehr groß, da muss man auch als Trainer mit umgehen können.

Sie waren jahrelang im Nachwuchsbereich tätig, der SVWW ist Ihre erste Station als Trainer im Erwachsenenbereich. Wie groß war für Sie die Umstellung, statt einer Jugendmannschaft plötzlich ein Profiteam zu trainieren?

Im Bereich der großen Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten ist auch alles Vollprofitum bei U19 und U17, dort wird genauso oft trainiert wie von der 1. bis zur 3. Liga. Der Unterschied ist, dass ich es jetzt teilweise mit Familienvätern zu tun haben und nicht ausschließlich mit Jugendlichen. Aber es geht immer um Menschen und die Beziehung zu ihnen, die ich als Trainer aufbaue. Ich war selbst lange Jahre Profi, daher weiß ich, wie die Spieler ticken. Das öffentliche Interesse ist natürlich deutlich größer, aber das Spiel bleibt gleich.

Einige der diesjährigen Neuverpflichtungen kannten Sie schon von Ihren vorherigen Tätigkeiten beim VfB Stuttgart und beim FC Bayern München und ein paar Spieler wurden dahingehend zitiert, dass Sie sich vor allem wegen Ihrer Person für den SVWW entschieden haben. Wie lange kann man diese Quellen noch anzapfen?

In erster Linie geht es um Qualität. Wenn wir davon überzeugt sind, dass uns ein Spieler helfen kann, dann darf er auch über andere Wege zu uns kommen. Im Fall der aktuellen Neuzugänge war es von Vorteil, dass ich die Qualität der Spieler persönlich einschätzen konnte und über diesen persönlichen Kontakt auch die Möglichkeit hatte, sie für den SVWW zu begeistern. Wichtig ist, dass wir weiterhin interessant bleiben für junge Spieler, die wissen, dass sie sich beim SVWW mit dem Verein zusammen weiterentwickeln können.

Gegen Ende der letzten und zu Beginn dieser Saison haben Sie auf eine Startformation mit zwei Stürmern gesetzt, sind vor einiger Zeit aber wieder zum 4-5-1 zurückgeschwenkt. Was war der Grund für diese Änderung?

4-5-1, 4-4-2 oder 4-2-3-1 – das sind ja eigentlich alles nur Zahlen. Die Grundordnung sagt aber wenig über die Art und Weise aus, wie wir Fußball spielen wollen, dabei ist das eigentlich das Entscheidende. Unsere Ordnung ändert sich öfter während eines Spiels, und das macht es für den Gegner schwieriger, weil er nicht einschätzen kann, was im Laufe unseres Spiels passieren wird. Daher wollen wir uns immer alle Optionen offen halten. Greift der Gegner an, sind wir mit Nils-Ole Book als zweite Spitze immer im 4-4-2 aktiv gegen den Ball; sind wir in der Offensive haben wir oft mit Alexander Riemann und Tobias Jänicke zusammen mit José Pierre Vunguidica drei Stürmer – im Endeffekt spielen wir nicht nur mit einer Spitze, sondern mit einer variablen Offensivreihe. Wie gesagt, alles andere sind nur Zahlen…

Im Kader stehen acht Offensivkräfte bzw. sogar neun, wenn man Nils-Ole Book mitzählt. Juckt es da nicht, soviele wie möglich von Beginn an aufzustellen?

Naja, es gibt eben nur elf Positionen – da muss dann auch schon mal ein Torwart und der eine oder andere Defensivspieler dabei sein… Im Ernst: Ich habe es gerade schon angedeutet, dass wir in der Offensive sehr variabel auftreten und auch während eines Spiels durch Einwechslungen neue Impulse setzen können. Beispielsweise haben wir in Großaspach beim Stand von 1:0 durch die Hereinnahme von Schnellbacher und Benyamina auf ein 4-4-2 umgestellt, Book rückte dann als offensiver Sechser ins Mittelfeld. Daher bin ich der Meinung, dass wir unser Offensivpotenzial schon gut ausspielen.

Wie soll Ihre Mannschaft früher oder später idealerweise spielen? Woran soll der Zuschauer irgendwann mal denken, wenn er “Wehen Wiesbaden” hört?

Jeder einzelne Spieler, beginnend beim Torwart, soll aktiv das Offensivspiel voranbringen, im Umkehrschluss soll jeder, beginnend bei den Angreifern, bei gegnerischem Ballbesitz aktiv die Balleroberung schnellstmöglich einleiten. Grundsätzlich wollen wir attraktiv nach vorne spielen.

Im Kader sind eigentlich alle Positionen doppelt besetzt, selbst fürs Tor hat man mit Florian Fromlowitz einen Mann mit reichlich Bundesligaerfahrung auf der Bank. Einzig Nils-Ole Book scheint im zentralen Mittelfeld unersetzlich. Bricht Ihnen jedesmal der Angstschweiß aus, wenn Book nach einem Zweikampf kurz liegen bleibt?

Es ist richtig, das Ole nur schwer zu ersetzen wäre, das würde uns richtig weh tun. Ole ist auf Grund seiner Kreativität ein absoluter Schlüsselspieler. Solche Spieler gibt es nicht an jeder Ecke. Sollte er mal ausfallen, dann müssten wir anders spielen.

Wenn in Kürze Sebastian Mrowca und Patrick Funk und nach der Winterpause auch Jonatan Kotzke wieder zur Verfügung stehen, könnten Sie ein Luxusproblem bekommen. Oder freuen Sie sich schon darauf, wie Pep Guardiola jede Woche durchrotieren zu können?

Solche Probleme sind dann wirklich Luxusprobleme, über die sich ein Trainer eher freut. Es wird im Fußball immer Härtefälle geben, das gehört einfach dazu. Aber wenn wir als Verein wirklich weiterkommen wollen, dann brauchen wir auch diese Qualitätsdichte.

Am kommenden Samstag steigt der SVWW in den Hessenpokal ein, als einziger Drittligist und somit als Topfavorit. Wie heiß sind Sie auf diesen Wettbewerb, insbesondere nach dem enttäuschenden Halbfinalaus in der letzten Saison?

Die letzte Saison ist abgehakt, das hatten wir durch den vierten Platz am Ende korrigiert. Und dieser Erfolg in der Liga war viel schöner. Dennoch wollen wir in allen Wettbewerben so weit wie möglich kommen, daher geben wir auch im Hessenpokal alles, um die Spiele zu gewinnen.

Herr Kienle, herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!