Reich und Schön

Am vergangenen Wochenende bestritt der SV Wehen Wiesbaden aufgrund eines durch die Länderspielpause bedingten Mangel an Ligabetrieb ein Testspiel bei Viktoria Aschaffenburg. Der SVWW gewann beim Regionalligisten mit 9:4 und gerüchteweise wurde tatsächlich Fußball auf einem Spielfeld regulären Ausmaßes gespielt, nicht etwa auf dem Kleinfeld und auch keine andere Sportart, Eishockey beispielsweise, wo ein solches Ergebnis weniger verwundern würde. Generell ist solchen Partien ja nicht allzu viel Bedeutung beizumessen, aber immerhin darf man sich für Marius Kleinsorge freuen, der vier Treffer beisteuerte und vielleicht demnächst auch mal in der Liga wieder eine Chance erhält.

Genauso viel bzw. wenig, also nichts, habe ich vom letzten Ligaspiel bei Energie Cottbus in der Vorwoche gesehen. Das Verfolgen des Live-Tickers hat mir völlig gereicht, um mir die Laune am Sonntag zu verhageln, das konnte selbst das später folgende 5:1 des FC Bayern gegen Borussia Dortmund nicht völlig wettmachen. Zur Abwechslung hatte der SVWW mal eine gute erste Halbzeit gespielt und durch zwei Tore von Torsten Oehrl geführt. In der zweiten Hälfte fiel jedoch früh der Anschlusstreffer und schließlich in der Nachspielzeit der Ausgleich. Tja, vor ein paar Wochen haben wir noch gegen die Stuttgarter Kickers über den Ausgleichstreffer in letzter Sekunde gejubelt, diesmal war’s umgekehrt, so toll oder scheiße kann Fußball sein, kommt halt immer auf die Perspektive an.

Verschiedene Perspektiven gibt es zwangsläufig auch bei DEM Thema der letzten Wochen, der geplanten Zusammenarbeit von SV Wehen Wiesbaden und SV Wiesbaden. Andreas Reich, Präsident und Geldgeber des SVW, hat inzwischen klar gemacht, dass er im Falle einer Ablehnung der Fusionspläne durch die SVW-Mitglieder nach der Saison als Hauptsponsor aussteigen würde – er setzt dem Verein also unmissverständlich die Pistole auf die Brust. Trotzdem stehen wohl längst nicht alle Mitglieder hinter dem Vorhaben, womit die Abstimmung dazu ausgesprochen spannend werden dürfte, schließlich wird eine Zweidrittel-Mehrheit benötigt.

Auch in der SVWW-Anhängerschaft sind erwartungsgemäß die Meinungen gespalten. Für die einen ist es ganz prinzipiell ein No-Go, nach der Verwandlung zum SVWW anno 2007 noch mehr von der Taunussteiner Herkunft aufzugeben, während die anderen den Plan als einzigen Ausweg aus der seit Jahren andauernden Misere sehen. Natürlich wird sich entsprechend gegenseitig beschimpft, sodass der erste Verlierer der ganzen Aktion jetzt schon feststeht, egal wie es letztlich weitergeht: das letzte bisschen Wir-Gefühl unter den Fans zersplittert in Einzelmeinungen. Die „SV WIR“-Kampagne – Motto: „Wir. Gemeinsam.“ – wirkt jetzt nicht nur lächerlich, sondern geradezu höhnisch.

Ich für meinen Teil sehe mich durchaus nicht als Wehen-Traditionalist, kam als Wiesbadener auch erst 2007 zum SVWW (meine Handvoll Besuche auf dem Halberg zu Regionalligazeiten darf man getrost vernachlässigen) und habe auch überhaupt nix gegen den SVW. Ich hätte noch nicht mal prinzipiell etwas gegen eine Fusion oder ähnliche Kooperation – wenn mir nur endlich mal jemand erklären könnte, worin genau der Vorteil für den SVWW (und meinetwegen auch für den SVW) besteht. Ich habe es vor zwei Wochen schon geschrieben und bis jetzt konnte ich immer noch keine vernünftigen Gründe aus sportlicher Sicht finden. Auch finanziell dürfte der erhöhte Beitrag von Herrn Reich zumindest teilweise durch reduzierte Zuschüsse von Herrn Hankammer (und den erneuten Betrieb einer zweiten Mannschaft) wieder kompensiert werden. Und selbst wenn mehr Geld zur Verfügung stehen sollte, bedeutet das per se ja noch gar nichts, schließlich wird dem SVWW schon seit Jahren nachgesagt, einen der höchsten Etats der dritten Liga zu haben – Ergebnis bekannt.

Ich werde mir im November auf der Informationsveranstaltung anhören, wie die Verantwortlichen uns den Deal verkaufen wollen, habe aber wenig Hoffnung, wirklich Erhellendes zu erfahren. Dabei hätte ich ein paar echt gute Vorschläge für den neuen Namen in petto.