Die Wehenschau (KW 26/2024)

Wir befinden uns gerade im „Dazwischen“ und zwar ungefähr in der Mitte davon. Es ist jetzt einen Monat her, als der SV Wehen Wiesbaden im Relegationsrückspiel gegen Regensburg verlor und abstieg, und in etwas mehr als einem Monat beginnt die neue Drittligasaison. Auch bei der momentan stattfindenden Europameisterschaft ist nach dem Abschluss der Gruppenphase gerade kurze Verschnaufpause, bevor es in die KO-Spiele geht. Die EM macht mir tatsächlich mehr Spaß und ich schaue doch mehr Spiele (zumindest mit einem Auge), als ich erwartet hatte.

Aber hier soll es ja um den SVWW gehen. Mit dem Abstieg, so unnötig er auch war, habe ich mich längst abgefunden, aber große Vorfreude auf die neue Saison empfinde ich immer noch nicht. Nicht mal kleine. Eine neue Dauerkarte habe ich bisher noch nicht bestellt und bei der Aussicht auf Heimspiele gegen Verl oder Hannover II vor zweieinhalb Tausend Zuschauenden fragt man sich natürlich, ob man überhaupt eine braucht. Aber machen wir uns nichts vor, wir wissen ja ohnehin alle, was passieren wird: ich stehe dann doch wieder bei jedem Spiel in N6 und wenn ich mich schon nicht auf den Fußball freue, dann aber mindestens – bzw. vor allem – auf die vielen Leute, mit denen ich so gerne regelmäßig ein paar Stunden verbringe. Ich hatte kurz überlegt, den 1. Juli, an dem ja formal das neue Fußballjahr beginnt, auch als symbolisches Datum für meinen inneren Reset zu wählen, aber wenn ich jetzt schon hier am Schreiben bin, kann ich das auch direkt tun: ab sofort schaue ich nach vorne und nehme die Herausforderung 3. Liga an (um mal den typischen Fußballerphrasensprech zu bemühen).

Schauen wir also mal, was sich beim SVWW in den letzten Wochen getan hat, denn es war ja doch einiges los.


Zunächst mal wurde die Trainerfrage beantwortet und das mit einem wenig überraschenden Ergebnis: Nils Döring bleibt Cheftrainer. Aus der Interims- wird nun also eine Dauerlösung. Das mag aus Sicht der Verantwortlichen durchaus sinnvoll sein, schließlich hat man Döring jahrelang aufgebaut, dass er mal genau diese Position übernehmen kann, aber begeistern kann ich mich dafür (noch) nicht. Dabei geht es mir gar nicht um das enttäuschende Saisonende, sondern vor allem um den Umstand, dass ich noch kein einziges Mal etwas dazu gehört habe, wie Dörings Idee von Fußball aussehen soll. Mehr als „Ich will ehrlichen Fußball spielen lassen“ habe ich noch nicht vernommen und das finde ich, mit Verlaub, etwas dünn. Ich hoffe sehr, dass intern das Thema Spielidee etwas differenzierter betrachtet wird, als das, was nach außen dringt. Vielleicht müssten die Medienvertreter auch nur mal etwas konkreter nachfragen, keine Ahnung. (Und ja, ich würde ja selbst gerne fragen, wenn ich dürfte.)

In einer längeren Runde, an der auch Nico Schäfer und Markus Hankammer teilnahmen, wurde der neue Sport-Geschäftsführer Uwe Stöver vorgestellt. Es ist ja völlig in Ordnung, dass man die Lage ruhig und sachlich bewertet und nicht irgendwelche Parolen raushaut, aber insgesamt war die Veranstaltung nicht unbedingt dazu geeignet, den durchschnittlichen Fan emotional anzuzünden. Es war viel von Stabilisierung und Konsolidierung die Rede und Ziele könne man erst nennen, wenn man den Kader beisammen habe. Im Verbund mit der Döring-Entscheidung und den bisherigen Transfers (dazu gleich mehr) wirkt das Ganze so, dass man mit einer Übergangssaison plant: aufpassen, dass man nicht durchgereicht wird, neue Mannschaft aufbauen, nächstes Jahr wieder aufstiegsfähig werden. Das vor einigen Jahren ausgerufene übergeordnete Ziel, zum hundertjährigen Vereinsjubiläum ein „etablierter Zweitligist“ zu sein, ist durch den Abstieg hinfällig geworden, aber vielleicht schafft man es wenigstens, im Jubiläumsjahr 2026 überhaupt wieder ein Zweitligist zu sein bzw. zu werden.


Damit zum Spielerkader. Wie erwartet haben Aleksandar Vukotic und Marcus Mathisen von ihren Ausstiegsklauseln Gebrauch gemacht, um weiterhin in der 2. Bundesliga zu spielen. Vukotic ist zum SV Darmstadt 98 gewechselt, was schon ein bisschen „ein Geschmäckle“ hat, da dort mit Paul Fernie genau derjenige für die Verpflichtung verantwortlich war, der vor einem Jahr mit Vukotic die Ausstiegsklausel verhandelt hat. Übrigens ist auch Performance-Coach Alex Ryan nach Darmstadt gewechselt und wie man so hört, hat Fernie es auch noch bei ein paar weiteren Spielern des SVWW versucht. Klingt sehr danach, dass da jemand ziemlich nachhaltig alle Brücken hinter sich abgerissen hat.

Mathisen ist unterdessen zum 1. FC Magdeburg weitergezogen. Wie auch bei Vukotic konnte die Ausstiegsklausel durch die Zahlung einer festen, aber natürlich ungenannten Ablösesumme aktiviert werden. Nebenbei: auch Fernies eigener Wechsel nach Darmstadt war mit der Zahlung einer Ablöse verbunden, die angeblich höher war als die von so manchen Spielern.

Weitere Abgänge gibt es derzeit nicht, wobei davon auszugehen ist, dass beispielsweise auch Florian Stritzel und Thijmen Goppel entsprechende Klauseln in ihren Verträgen haben. Ob diese auch genutzt werden, ist natürlich eine andere Frage. Zumindest haben beide auch schon in der 3. Liga für Wehen gespielt, sodass die Vorstellung, dass sie das wieder tun, nicht völlig absurd erscheint.

Vertragsverlängerungen gab es auch und zwar mit Nico Rieble und Amin Farouk. Während Rieble mindestens ein solider Backup für die Abwehr und die linke Seite ist, ist es bei Farouk sehr fraglich, ob er zukünftig zu nennenswerten Einsatzzeiten kommt. Vor einigen Jahren als großes Talent aus dem eigenen Nachwuchs im Profikader gelandet, wurde er zwischenzeitlich für ein halbes Jahr zum FSV Frankfurt in die Regionalliga verliehen, um dann in der letzten Saison nur fünfmal für den Spieltagskader nominiert zu werden, ohne je zum Einsatz gekommen zu sein. Es drängt sich ein bisschen der Verdacht auf, dass er vor allem für die Einhaltung der Local-Player-Regel weiterbeschäftigt wird.

In Sachen Neuzugängen war in den letzten Tagen einiges los. Die ersten drei, Franjic, Wohlers und Gözüsirin, standen ja schon vor bzw. unmittelbar nach Saisonende fest, dann war es eine Weile ruhig, und nun wurden gleich vier weitere Spieler innerhalb kürzester Zeit vorgestellt:

  • Marius Wegmann, 25-jähriger Innenverteidiger, kommt wie zuvor schon Franjic von den Würzburger Kickers.
  • Moritz Flotho, 22-jähriger Stürmer, wurde in Kassel geboren und wechselt vom SC Paderborn II zum SVWW.
  • Fabian Greilinger, 23-jähriger Linksverteidiger, entstammt dem Nachwuchs des TSV 1860 München und bringt die Erfahrung von 118 Drittligaspielen mit.
  • Justin Janitzek, 20-jähriger Innenverteidiger, wurde beim VfB Stuttgart und beim FC Bayern München ausgebildet und war zuletzt an den FC St. Gallen verliehen.

Damit nimmt der Kader einigermaßen konkrete Formen an. Falls keiner mehr gehen sollte, würde das zumindest zahlenmäßig so passen, alle Positionen sind abgedeckt. Es klang aber danach, dass die Personalplanungen noch nicht abgeschlossen seien. Bei den Neuzugängen hat man ausschließlich Dritt- und Regionalligaspieler geholt und damit nicht nur den Altersschnitt gesenkt, sondern sicherlich auch ganz erheblich das Gehaltsniveau. Jetzt liegt es also an Döring, Modica und Co., daraus eine Mannschaft zu formen.

In dieser Woche hat die Saisonvorbereitung begonnen. Nach den üblichen „leistungsdiagnostischen Tests und sportmedizinischen Untersuchungen“ (früher kurz als „Laktattest“ zusammengefasst) wurde am Mittwoch das Training auf dem Halberg aufgenommen, wobei das auf einem Nebenplatz stattfand, da die ukrainische Nationalmannschaft den Hauptplatz während der EM exklusiv gebucht hatte. Dieses „Problem“ hat sich nun aber dadurch erledigt, dass die Ukraine ausgeschieden ist. Ohnehin hätte es sich nur um wenige Tage gehandelt, denn am Wochenende geht es für den SVWW ja nach Südafrika.


Der große Aufreger der Sommerpause war die Quasi-Erhöhung der Dauerkartenpreise in den Sitzplatzbereichen W3 und W4. Schon wenige Wochen später hat sich jedoch herausgestellt, dass es sich dabei um einen bedauerlichen Fehler handelte. Tatsächlich sind die Plätze seit Beginn der letzten Rückrunde in die teure Kategorie I veschoben worden, aber das soll nur die Tageskarten betreffen. Für die Dauerkarten soll sich nichts ändern und wer bereits eine bestellt hat, bekommt nun die Differenz zurückerstattet. Offenbar hatte das ganze Malheur auch personelle Konsequenzen, zumindest stehen auf der Website des Vereins im Bereich Ticketing andere Namen als zuletzt.


Zum Abschluss wie üblich ein Blick auf die Ehemaligen. Wir beginnen mit zwei Spielern, die erst kürzlich verabschiedet wurden.

  • Hyun-ju Lee ist nach dem Ende seiner Leihe nicht zum FC Bayern München zurückgekehrt, sondern geht erneut auf Leihbasis zu Hannover 96. Die Hannoveraner haben anschließend auch eine Kaufoption. Sollte Lee sich nicht auf Anhieb im Zweitligakader der Niedersachen durchsetzen, sehen wir ihn vielleicht (ebenso wie Brooklyn Ezeh) in der neuen Saison mit der zweiten Mannschaft in der Brita-Arena wieder.
  • Julius Kade hat einen neuen Verein gefunden, er spielt ab sofort für den FC Emmen in den Niederlanden.
  • Robert Andrich ist weiterhin gesetzt in der deutschen Nationalmannschaft und hätte im letzten EM-Gruppenspiel gegen die Schweiz beinahe sein erstes Tor im DFB-Trikot erzielt. Bzw. getroffen hat er schon, aber das Tor zählte nicht, weil es zuvor ein Foul gegeben hatte. Nächste Gelegenheit dann am Samstagabend im Achtelfinale gegen Dänemark.
  • Mit Heinz Lindner nimmt noch ein weiterer früherer Wehener an der EM teil. Mit dem österreichischen Team hat er die schwierige Gruppe mit Frankreich, den Niederlanden und Polen als Erster abgeschlossen. Lindner hat als Ersatztorwart allerdings nicht aktiv dazu beitragen können.
  • Ahmet Gürleyen, vor der letzten Saison vom SVWW zum 1. FC Nürnberg gewechselt, wurde dort vom neuen Trainer Miroslav Klose aussortiert.
  • Cedric Euschen, 2019 kurzzeitig beim SVWW beschäftigt, musste sich mal wieder einen neuen Verein suchen, nachdem in Cottbus sein Vertrag aufgelöst wurde. Er spielt ab sofort für den 1. FC Bocholt in der Regionalliga West.
  • Kosta Runjaic, zu Beginn seiner Trainerkarriere verantwortlich für die damals noch existierende zweite Mannschaft des SVWW, wird Nachfolger von Fabio Cannavaro bei Udinese Calcio. Das muss man mal wirken lassen.
  • Christian Hock wurde von einem Unbekannten vor der eigenen Haustür zusammengeschlagen und musste sogar operiert werden – was für eine verabscheuungswürdige Tat! Wir wünschen Hocki gute Genesung.