Die Wehenschau (KW 53/2020)

2020 ist in Kürze Geschichte und die meisten Leute werden wohl ziemlich froh darüber sein, dieses Jahr endlich abschließen zu können, verbunden mit der Hoffnung, dass sich 2021 das Leben wieder normalisiert. Mit den gerade gestarteten Impfungen gibt es tatsächlich Anlass zu einem gewissen Optimismus, auch wenn es sicherlich noch mindestens bis zum Sommer dauern wird, bis eine Rückkehr zum „Leben vor Corona“ möglich sein wird.

Der bevorstehende Jahreswechsel ist ein natürlich ein guter Grund kurz zurückschauen. Für den SV Wehen Wiesbaden begann das Jahr so, wie 2019 geendet hatte: mit einem 1:0-Sieg. Nach dem Erfolg gegen Aue stand der SVWW erstmals seit dem ersten Spieltag nicht auf einem direkten Abstiegsplatz in der 2. Bundesliga, aber es folgten fünf sieglose Spiele, in denen man wieder viele Punkte unglücklich liegen ließ. Neue Hoffnung gab es nach dem furiosen 6:2-Auswärtssieg in Osnabrück, doch wenige Tage später stand die Welt Kopf. Die Saison wurde wegen der sich ausbreitenden Corona-Pandemie unterbrochen, kurz darauf ging Deutschland in den ersten Lockdown. Beim SVWW gab es mit Tobias Mißner früh einen Positiv-Fall, der jedoch ohne Erkrankung gut ausging. Mitte Mai, nach mehr als zweimonatiger Unterbrechung, wurde die Saison dann doch noch fortgesetzt, allerdings ohne Zuschauer in den Stadien. Wie schon in der Hinrunde gewann Wehen sensationell mit 2:1 gegen den VfB Stuttgart, leider gefolgt von vier knappen Niederlagen, u. a. gegen den Tabellenletzten Dresden. Die Abstände zum Relegationsplatz und auch zu Platz 15 waren jedoch noch immer knapp genug, dass man weiterhin an den Klassenerhalt glauben konnte. Nach dem Sieg in Kiel hatte man gegen den 1. FC Nürnberg die große Chance, an einem direkten Konkurrenten vorbeizuziehen – und unterlag 0:6. Ein paar Tage später war nach einer Niederlage in Darmstadt der Abstieg so gut wie sicher, das abschließende 5:3 gegen St. Pauli konnte daran nichts mehr ändern. Der SV Wehen Wiesbaden musste nach nur einem Jahr in der 2. Bundesliga wieder zurück in die 3. Liga.

Die handelnden Personen, also Geschäftsführung, Sportdirektor, Trainerteam, blieben dieselben, aber im Kader gab es einen großen Umbruch. Dass man einige der besseren Spieler nicht halten können würde, war keine Überraschung – immerhin gab es für den überragenden Manuel Schäffler (mit 19 Treffern zweitbester Torschütze der 2. Liga) eine ordentliche Ablöse -, und ebenso kam es nicht unerwartet, dass man sich von einigen Reservisten trennen würde, aber als es dann am Ende über 20 Abgänge werden sollten, staunte der eine oder andere Beobachter doch. Umso erfreulicher, dass sich der neuformierte Kader schnell zu einer Mannschaft zusammenfand, die ordentlich in die neue Saison startete. Beim Sieg gegen Heidenheim in der ersten DFB-Pokalrunde durften erstmals wieder 250 Zuschauer in die Brita-Arena, gegen Verl waren es dann schon 630 und gegen Kaiserslautern gab es auch wieder Stehplätze – aber mit steigenden Infektionszahlen war das schon bald wieder vorbei und fortan wieder Geisterspiele angesagt. Der SVWW hatte unterdessen einige Verletzungssorgen: Röcker meldete sich schon vor Saisonbeginn ab, Aigner hatte bisher nur einen Kurzeinsatz, Mrowca fiel nach dem 2. Spieltag aus, Wurtz und Walbrecht erwischte es ebenfalls früh in der Saison. Der ohnehin eher kleine Kader wurde also noch dezimiert und in Kombination mit dem engen Terminplan war es dann auch kein Wunder, dass weitere Spieler zwischendurch mit kleineren Verletzungen oder Formtiefs pausieren mussten. Immerhin kamen die jungen Spieler dadurch zu deutlich mehr Einsätzen, als das vorher vielleicht geplant war. Die Resultate waren wechselhaft, aber mit Ausnahme von Dynamo Dresden, das sich in der Tabelle schon etwas abgesetzt hat, geht das ja allen Mannschaften ähnlich und so liegt der SVWW zum Jahreswechsel in Sichtweite der Aufstiegsplätze. In den letzten beiden Jahren hat Rüdiger Rehms Mannschaft jeweils eine deutlich bessere Rück- als Hinrunde gespielt, was darauf hoffen lässt, dass Wehen wenigstens möglichst lange im Aufstiegsrennen mitmischen kann. Zum Jahresabschluss schied man im DFB-Pokal gegen Regensburg im Elfmeterschießen aus und wenn man möchte, kann man sowohl für dieses Spiel als auch für die beiden Halbserien in 2020 resümieren: eigentlich okay, aber es wäre auch mehr drin gewesen.


Für uns beim Stehblog bzw. beim Podcast „Niemals Erste Liga“ war es ebenfalls ein intensives Jahr. Zu jedem der 35 Pflichtspiele gab es einen Spielbericht und jede Woche (bis auf eine einzige in der Sommerpause, dafür in vielen anderen Wochen zweimal) erschien die Wehenschau mit einem Vorschau auf die nächste Partie, Nachrichten rund um den Verein und diversen Links zu Artikeln, Podcasts usw. Wir haben 16 Podcast-Folgen aufgenommen, darunter mehrere Interviews mit (Ex-)Spielern, und zuletzt haben wir uns ein paarmal als Fanradio, also mit einer Live-Kommentierung von SVWW-Spielen, ausprobiert. Ein Höhepunkt schon früh im Jahr war die Lesung aus dem Buch „111 Gründe, den SV Wehen Wiesbaden zu lieben“ in der Mannschaftskabine in der Brita-Arena, gemeinsam mit Alf Mintzel und Christian Hock. Weitere Lesungen, z. B. im Fanprojekt, fielen Corona-bedingt leider aus, vielleicht können wir das im nächsten Jahr nachholen.

Den SVWW als Fanmedium zu begleiten, macht mir und uns weiterhin Spaß, aber es ist auch Arbeit. Diese Arbeit ist komplett unbezahlt, sowohl Blog als auch Podcast sind werbefrei und wir bitten auch nicht um Spenden – und so soll es auch bleiben. Was ich mir aber wünschen würde, wären weitere Mitstreiter, die das Ganze hier mit Leben füllen. Dabei geht es mir nicht in erster Linie darum, ein bisschen Arbeit abzugeben, sondern vor allem darum, das hier mehr zu einem Gemeinschaftsprojekt zu entwickeln, in dem es auch unterschiedliche Perspektiven und Meinungen geben soll. Wenn Du bis hierhin gelesen hast, ist es recht wahrscheinlich, dass Du regelmäßig den Stehblog liest – denk doch mal darüber nach, ob Du nicht Lust hast, hier ab und zu etwas beizusteuern. Seien es Spielberichte oder Gegnervorschauen, Taktikanalysen oder Interviews oder gerne auch mal ein Kommentar oder eine Glosse, Möglichkeiten gibt es genug. Du schreibst nicht so gerne, möchtest aber trotzdem mitdiskutieren? Dann wäre vielleicht der Podcast etwas für Dich. Melde Dich einfach!


Zum Abschluss noch einige Meldungen und Medienempfehlungen, damit Euch auch in der kurzen fußballlosen Zeit nicht langweilig wird:

  • Der Wiesbadener Kurier ruft zur Wahl der besten SVW(W)-Mannschaft der letzten 20 Jahre auf. Es gibt auch etwas zu gewinnen.
  • Der SVWW hat den Vertrag mit Dennis Kempe vorzeitig für die nächste Saison verlängert. Passend dazu hat die hessenschau Dennis und Tobias Kempe in einem großen Doppel-Interview zu Familie, Vorbildern, Zukunftsplänen und vielem mehr befragt.
  • Kollege Carsten vom FCSBlog hat sich ausführlich mit Nicklas Shipnoski unterhalten. Etwas schade, dass Shippi trotz zwei Jahren beim SVWW noch glaubt, dass der Verein aus einer Fusion zwischen Wehen und Wiesbaden hervorging.
  • Die FAZ hat Nico Herzig ein längeres Porträt gewidmet und ihn bei seinem Abschied vom Profi-Fußball begleitet.
  • Noch länger liegt die Zeit von Mounir Zitouni beim SV Wehen zurück, in den 90er Jahren spielte er auf dem Halberg in Oberliga und Regionalliga. Nachdem er viele Jahre Redakteur beim kicker war, ist er mittlerweile als Business-Coach tätig und spricht in seinem Podcast „Leadertalk“ mit Fußballtrainern, zuletzt mit Sandro Schwarz.
  • Beim DFB plant man eine Reform im Jugendfußball. Zukünftig könnten statt der Junioren-Bundesligen mit Auf- und Abstieg separate Runden für die Nachwuchsteams der drei Profiligen ausgespielt werden.
  • Nachdem kürzlich Mikhail Ponomarev seinen Ausstieg beim KFC Uerdingen angekündigt hat, will sich nun auch Hasan Kivran bei Türkgücü München zurückziehen. Ich mag mich täuschen, aber irgendwie scheint es früher oder später immer etwas ungemütlich zu werden, sobald bei Fußballvereinen eine Person auftaucht, die in erster Linie als „Investor“ bezeichnet wird.
  • Nach Spanien plant auch Großbritannien ein Verbot von Glücksspielwerbung im Spitzensport. Sollte etwas Ähnliches auch hierzulande kommen (was ich persönlich begrüßen würde), müssten sich zahlreiche Drittligisten und auch die Liga als Ganzes andere Sponsoren suchen.