Die Wehenschau (KW 28/2023)
Der SV Wehen Wiesbaden befindet sich derzeit im Trainingslager im Zillertal. Mit dabei ist auch – immer noch – Benedict Hollerbach. Mittlerweile ist ziemlich klar, dass er sich tatsächlich mit dem 1. FC Köln schon einig war (oder zumindest in fortgeschrittenen Verhandlungen befand), aber dann relativ kurzfristig Union Berlin dazwischengrätschte. Die Berliner sind als Champions-League-Teilnehmer sowohl sportlich als auch finanziell dann wohl nochmal eine Stufe attraktiver, aber zu einem Abschluss des Transfers ist es bisher noch nicht gekommen. Keine Ahnung, ob das an der durch den SVWW erhöhten Preisforderung (angeblich 1,5 Millionen Euro) liegt oder ob Union erstmal abwarten möchte, welche von den dann sieben Stürmern im Kader eventuell noch wechseln wollen, oder ob doch irgendein Leih-Deal zur Debatte steht. Vielleicht macht Hollerbach es auch wie Gustaf Nilsson im letzten Jahr: komplette Vorbereitung beim SVWW und auch noch ein Ligaeinsatz, um sich mit einem Tor zum Saisonstart zu verabschieden. Theoretisch könnte er sogar noch vier Ligaspiele mitmachen, denn die Wechselperiode endet ja erst am 1. September.
Neu mit dabei sind zwei Spieler, die beide am vergangenen Freitag vorgestellt wurden. Zunächst wäre da Keanan Bennetts für die linke Außenbahn. Die Vita des Engländers liest sich zunächst spannend, denn er wurde bei Tottenham Hotspur ausgebildet, spielte auch einige Male in Jugendnationalmannschaften, und kam dann zu Borussia Mönchengladbach, wo er aber überwiegend in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga spielte. Zwischendurch wurde er zu Ipswich Town verliehen, wo er in der dritten englischen Liga regelmäßig spielte. Zurück in Gladbach ging es aber nicht wirklich weiter und sein Vertrag endete. Letzte Saison verpflichtete ihn dann im Laufe der Hinrunde Darmstadt 98, die mit Verletzungsproblemen kämpften. Letztlich kam Bennetts dort aber auch nur zu Kurzeinsätzen. Obwohl angeblich auch einige andere Zweitligisten an ihm interessiert waren, klingt das insgesamt jetzt nicht unbedingt nach der 1A-Lösung, aber zumindest hat man nun schon mal jemanden für die linke Seite. Ich vermute, dass Bennetts eher als Backup eingeplant ist und man weiterhin auf der Suche für diese Position ist.
Etwas anders sieht es im zentralen offensiven Mittelfeld aus. Dort hat man nach Nick Bätzner nun noch einen zweiten vielversprechenden Spieler geholt: der Südkoreaner Hyun-ju Lee wurde von der zweiten Mannschaft von Bayern München für ein Jahr ausgeliehen. Ob die beiden nun dauerhaft um die Spielmacherrolle konkurrieren oder Kauczinski ein System findet, in dem beide gleichzeitig spielen, wird sicherlich eine interessante Frage – klingt aber eher nach einem Luxusproblem, das einem Trainer gut gefallen könnte.
Zumindest hoffen wir, dass sich die Frage „Bätzner oder Lee“ nicht erstmal von alleine beantwortet, denn im Testspiel gegen den FC Nordsjælland musste Bätzner verletzt ausgewechselt werden. Heute soll eine MRT-Untersuchung Aufschluss geben, ob etwas kaputt ist – das wäre schon ziemlich ätzend.
Die Verletzten aus dem ersten Testspiel in Biebrich, Prtajin und Reinthaler, werden aufgrund von Muskelfaserrissen jedenfalls den Saisonstart verpassen. Beide können momentan nicht am Mannschaftstraining teilnehmen und verbringen viel Zeit auf dem Fahrradergometer. Dasselbe gilt für Arthur Lyska, bei dem das aber eine gute Nachricht ist, denn offenbar nähert er sich nach seinem Innenbandriss der Rückkehr ins reguläre Training an.
Lyskas Fortschritte werden möglicherweise auch entscheidend sein, ob man noch einen weiteren Torwart verpflichtet oder nicht. Im Trainingslager ist als Gastspieler Daniel Mesenhöler dabei, der in den letzten beiden Jahren Ersatztorwart beim Halleschen FC war – beim SVWW wäre er sicherlich auch nur als Torwart Nummer 3 oder 4 vorgesehen.
Ebenfalls mit im Trainingslager sind die drei Nachwuchsspieler Imad Jaadar, Ben Nink und Maurice Schulz. Vermutlich wird am Ende wenigstens einer der drei mit einem Profivertrag belohnt, um die Local-Player-Regelung zu erfüllen.
Das Testspiel gegen Nordsjælland war ingesamt ordentlich. Nachdem man unmittelbar nach Anpfiff in Rückstand geriet, war der SVWW eigentlich die meiste Zeit die bessere Mannschaft und kam durch Mockenhaupt noch vor der Pause zum Ausgleich. In der zweiten Halbzeit hätte man auch gewinnen können, aber es blieb beim 1:1. Einerseits ein sehr respektables Ergebnis gegen den dänischen Vizemeister, andererseits trat dieser nicht mit der ersten Kapelle an, da man später am selben Tag noch ein zweites Testspiel absolvierte.
Am Mittwoch kehrt die Mannschaft heim und am Samstag gibt es in der mit nagelneuem Rasen ausgestatteten Brita-Arena mit der Partie gegen den belgischen Erstligisten VV St. Truiden die offizielle Saisoneröffnung, Anpfiff ist um 15:30 Uhr. Mit Shinji Okazaki ist übrigens ein ehemaliger Bundesligaspieler (Stuttgart, Mainz) bei den Gästen im Kader, Trainer ist Thorsten Fink. Bei diesem Spiel werden auch die neuen Trikots vorgestellt – vermutlich gibt es kurz davor schon ein kleines Werbe-Filmchen, zumindest hatte sich das in den letzten Jahren eingebürgert.
Das Stichwort Saisoneröffnung deutet schon darauf hin: die neue Saison und damit die 2. Bundesliga kommt näher. Dieses Mal will man sich länger halten als beim letzten Versuch, als man direkt wieder zurück in die 3. Liga musste, und auch länger als beim ersten Mal (2007 bis 2009), als man nach einer tollen Debütsaison im zweiten Jahr wieder abstieg. Das von Präsident Markus Hankammer ausgegebene Ziel, bis zum 100-jährigen Vereinsjubiläum (also in drei Jahren) „ein etablierter Zweitligist“ zu sein, steht ja weiterhin. Aber bleiben wir erstmal bei der näheren Zukunft, sprich der Saison 2023/24. Grundvoraussetzung für das Erreichen des sportlichen Ziels, also des Klassenerhalts, ist in allererster Linie ein zweitligatauglicher Kader. Beim letzten Aufstieg 2019 hatte man diesen, zumindest zu Saisonbeginn, nicht. Erst als man nach dem Fehlstart noch Stefan Aigner und Heinz Lindner nachverpflichtete, war man einigermaßen konkurrenzfähig. Dieses Jahr erscheint mir die Transferpolitik deutlich durchdachter und dass sich das Scouting beim SVWW deutlich weiterentwickelt hat, sieht man nicht zuletzt daran, dass man (wie schon in den letzten Jahren) auch im europäischen Ausland gezielt nach passenden Spielern fahndet. Natürlich wird sich nicht jeder Transfer als Volltreffer entpuppen, aber – mein Mantra seit Jahren – solange man mehr Treffer als Flops landet, wird man auch eine gute Saison spielen.
2019 war auch der Neubau der Westtribüne noch ein großes Thema. Das ist freilich längst abgeschlossen und so gibt es aktuell keine großen Baustellen (weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn), die die Verantwortlichen ablenken würden. Vermutlich wird es in der Organisation ein paar neue Stellen geben, um den etwas größeren Anforderungen der zweiten Liga gerecht zu werden, aber im Großen und Ganzen dürfte der Verein bereit für den dritten Anlauf sein.
Natürlich werden wir als Fans uns daran gewöhnen müssen, dass der SVWW höchstwahrscheinlich mehr Spiele verliert als gewinnt, aber die Liga besteht ja nicht nur aus Schalke, Hertha und dem HSV, sondern auch aus vielen „normalen“ Zweitligisten. Abgesehen davon, dass man auch gegen haushohe Favoriten gewinnen darf (wir erinnern uns beispielsweise gerne an zwei Siege gegen den VfB Stuttgart), halte ich es für durchaus realistisch, dass der SVWW einigermaßen regelmäßig Punkte holt. Die üblicherweise angestrebte Marke sind 40 Punkte, aber tatsächlich reicht die Faustformel „soviel Punkte wie Spieltage plus ein Sieg“, also 37 Punkte im Normalfall aus. Sollte man diese holen, würde sich der SVWW übrigens in der ewigen Zweitligatabelle um acht Plätze verbessern (aktuell steht man auf Rang 96). Zugegeben, das ist eher eine statistische Randbemerkung, aber (auch) dafür gibt’s ja den Stehblog. 😀
Wenn man sich die Verteilung der Zweitligavereine auf der Deutschlandkarte anschaut (z. B. in der Wikipedia), fällt auf, dass die Saison 2023/24 ziemlich nordlastig ist. Südlich von Wiesbaden sind nur Kaiserslautern, Karlsruhe und Elversberg im Südwesten sowie Nürnberg und Fürth in Franken zu finden. In der nördlichen Hälfte der Republik zieht sich ein Band aus acht Vereinen von Düsseldorf im Westen bis nach Berlin im Osten und dann gibt es noch den „hohen Norden“ mit zweimal Hamburg, Kiel und Rostock. Gegen Schalke, Hertha und Fortuna Düsseldorf tritt der SVWW erstmals in Ligaspielen an, wobei man gegen Schalke 2017 schon mal im DFB-Pokal spielen durfte. Am anderen Ende des Spektrums ist Mitaufsteiger VfL Osnabrück, mit denen der SVWW schon die insgesamt 15. Saison in derselben Liga verbringen wird – seit 2007 gab es nur zwei Spielzeiten, in denen man nicht gegeneinander spielte.
Kommen wir zu den Ex-Wehenern und fangen mit den beiden an, die erst vor kurzem mit dem SVWW aufgestiegen sind. Lucas Brumme spielt derzeit bei Rot-Weiss Essen zur Probe und hat sich bisher wohl sehr gut präsentiert, sodass eine Verpflichtung wahrscheinlich ist. Von Johannes Wurtz gibt es hingegen noch nichts Neues, was dann doch nochmal die Frage aufwirft, ob sich unser Ex-Kapitän etwas verspekuliert hat.
Zur 2019er Aufstiegsmannschaft gehörte Nicklas Shipnoski, der nun zu unserem letzten Relegationsgegner Arminia Bielefeld wechselt. Zuvor war er von Fortuna Düsseldorf an Jahn Regensburg ausgeliehen. Dorthin wechselt nun Shipnoskis früherer Mannschaftskamerad Agyemang Diawusie, der damit zu seinem Jugendverein zurückkehrt.
Benny Hübner, der in der ersten Zweitligazeit (sowie davor und danach) beim SVWW aktiv war, musste ja Ende letzten Jahres verletzungsbedingt seine Spielerkarriere beenden. Nun soll er nach einem Trainee-Programm bei der TSG Hoffenheim dort in die sportliche Leitung einsteigen.
Nicht in der 2. Bundesliga, sondern nur in anderthalb eher grauen Drittligajahren spielte Marco Königs beim SVWW. Er wechselt vom Regionalligisten Wuppertaler SV zum Bonner SC in die fünftklassige Mittelrheinliga.
Wohin es Alexander Schwolow – einst in der Jugend auf dem Halberg aktiv – zieht, ist noch nicht bekannt. Fest steht wohl nur, dass Hertha BSC nicht mehr mit ihm plant.
Zum Abschluss noch zwei Leseempfehlungen:
- The Times porträtiert Sportdirektor Paul Fernie.
- Die Kollegen vom MillernTon-Blog haben sich etwas genauer mit der Reform der Junioren-Bundesligen beschäftigt.
Im MillernTon-Podcast war Micha zu Gast; die Folge wird nächste Woche erscheinen. Und wenn nichts dazwischen kommt, gibt’s von Niemals Erste Liga ebenfalls nächste Woche noch eine kleine Saisonvorschau.