Interview mit Trainer Baade: „Fußball ist immer sehr viel Glück“

Es ist mir eine besondere Freude, heute ein Interview mit einem Schwergewicht1 der deutschen Fußball-Blogosphäre zu präsentieren. Frank Baade, besser bekannt als Trainer Baade, dessen Lesetour hier auch schon Thema war, erzählt unter anderem von mangelnder Multitaskingfähigkeit, was ihn mit dem MSV Duisburg verbindet und von seiner Verwunderung über die Solidarität anderer Fans.

Trainer, Dein Blog trainer-baade.de ist eins der bekanntesten deutschen Fußballblogs und wurde 2011 vom Magazin 11 Freunde als “Fanmedium des Jahres” ausgezeichnet. Dabei schreibst Du selten über konkrete Spiele, sondern überwiegend über das “Drumherum”. Wie kommt’s?

Ich dachte von Anfang an, eine Spielanalyse kann ich mit Bordmitteln ohnehin nicht leisten. Ich bin auch gar nicht dafür ausgebildet. Zudem sitze ich ja in den seltensten Fällen im Stadion, nur am Fernseher hielte ich das für kaum möglich. Und wenn ich ins Stadion pilgere, will ich mich ja nicht um mein eigenes Spannungserlebnis bringen. Gleichzeitig das Spiel zu erleben und es zu analysieren, dafür fehlt mir dann auch die Multitaskingfähigkeit. Nicht zuletzt interessiert mich alles Mögliche rund um Fußball, aber die taktischen Finessen eben eigentlich eher am Schluss. Es ist eher das Gesamtpaket und ganz oft eben auch nur ein Detail. Allerdings hab ich bis vor Kurzem durchaus noch zu Länderspielen eine, sagen wir mal, literarische Analyse verfasst. Das hab ich zur Zeit reduziert, schlicht weil ich bei der Wahl “bloggen oder genießen” immer öfter auf Letzteres zurückgreife.

Wenn man Deinen Blog und Deinen Twitter-Account verfolgt, fällt auf, dass Du Dich sehr für die deutsche Nationalmannschaft interessierst, aber anscheinend keinen Lieblingsverein hast – gewisse Sympathien und Antipathien gibt es aber doch bestimmt?

Die hängen meist von den handelnden Personen ab. Ich kann mich gut an Zeiten erinnern, als mir beispelsweise der HSV sympathisch war oder auch der 1. FC Kaiserslautern überhaupt nicht. Ich konnte wenig mit Otto Rehhagel anfangen, mit Thomas Schaaf hingegen deutlich mehr. Ich denke, man sollte immer weniger darauf reinfallen, dass das Image eines Vereines ja zu großen Teilen nur eine Konstruktion ist, während die Handelnden echt sind. Aber grundsätzlich habe ich schon eine Schwäche für einige Klubs aus dem Westen, sozusagen mein direktes geographisches Umfeld. Dabei interessieren mich dann auch keine vermeintlich dauerhaft vererbten Feindschaften, das ist – wie schon häufiger erwähnt – eine Angelegenheit für Spätpubertierende.

Du lebst in Duisburg und gehst seit Jahren mehr oder weniger regelmäßig zum MSV – ist das der “support your local team”-Gedanke oder würdest Du Dich gar nicht als Supporter beschreiben?

Als Supporter sehe ich mich auf keinen Fall. Diese Idee, dass ich irgendjemanden, der den Fußballsport zu seinem Beruf gemacht hat, der dann auch noch von meinem Eintrittsgeld lebt, also dass ich so jemanden darin unterstützen sollte, möglichst gut Fußball zu spielen, wirkt auf mich völlig hanebüchen und weltfremd. Wenn man ins Stadion geht und singt und damit die Mannschaft unterstützt, ist das schön, aber das macht man doch in erster Linie für sich selbst. Und sich selbst würde man ja kaum “Supporter von sich selbst” nennen.

Dennoch bin ich Anhänger und Sympathisant des MSV Duisburg und ich glaube schon, dass das sehr viel damit zu tun hat, dass es nun mal der lokale Club vor Ort ist. Wäre ich nicht hier aufgewachsen und hätten meine Vorfahren nicht bei Kohle und Stahl gearbeitet, würde ich dort sicher weniger eigene Identität, und sei es nur eingebildete, wiederfinden können. Da dem aber so war, kann ich mir zur Zeit schlecht vorstellen, diese selbst bei einem Wegzug aufzugeben.

Nach den ersten Saisonspielen des MSV nach dem Zwangsabstieg in die Dritte Liga hast Du auf Twitter von der außergewöhnlichen Stimmung im Stadion und sogar der ganzen Stadt berichtet. Was ist gerade los in Duisburg?

Es war einer meiner Follower, der es bestens auf den Punkt bracht: Man wird sich des Wertes von etwas bewusst, das man zuvor stets als selbstverständlich nahm. Mir war wirklich nicht bewusst, und das ist keine Koketterie, welchen großen Anteil meines Lebens es ausmacht, mehr oder weniger alle 14 Tage ins Stadion zum MSV zu gehen und zwar genau in dieses Stadion und zu diesem Verein und nicht einfach nur “Fußball vor Ort”. Der MSV ist ja tatsächlich nicht besonders mit Erfolgen gesegnet, da schweißt selbst ein deutlich verlorenes Pokalfinale zusammen und der knapp vermiedene Exitus erst recht. Ich habe mich immer gewundert, wieso der Fußball so wenig in dieser Stadt ankommt. In Dortmund sieht man an jeder Ecke, dass dort der BVB spielt, in Duisburg ist das überhaupt in ganz kleinen Ansätzen erst so seit der Insolvenz. Heute laufen auch an Nichtspieltagen Menschen mit dem MSV-Trikot durch die Stadt, viele Fenster sind geschmückt, auch von Apotheken oder Friseursalons, und die Mitgliederzahl wächst rasant. Das ist zur Zeit los rund um den MSV. Wenn der aktuelle sportliche Erfolg beibehalten wird, würde dieses Gefühl der Verwobenheit vielleicht etwas länger überdauern.

Aber Duisburg wäre nicht Duisburg, wenn man nicht schon an anderer Stelle wieder an den nächsten Negativschlagzeilen arbeitet, über die man sich sonst ja so gerne beschwert. Die nächste Präsenz auf den Startseiten der überregionalen Zeitungen aus negativen Anlässen ist vorgezeichnet – da ist dann das so Positive rund um den MSV auch womöglich schnell wieder in den Hintergrund gerückt. Aber das gilt dann überregional, hier werden die Menschen zumindest in den nächsten Wochen sicher noch genießen und weiter ermöglichen, dass eine solche wahrlich sehr besondere Atmosphäre rund um den Klub herrscht.

Der MSV ist knapp am völligen Aus vorbeigeschrammt, es gab sogar Solidaritätsaktionen anderer Clubs. Gab es das bei anderen abgestürzten Ruhrgebietsvereinen (z. B. RW Essen) auch oder ist der MSV da etwas Besonderes oder ist das einfach der Zeitgeist?

Ich war total baff, dass es überhaupt irgendjemanden interessiert hat, dass der MSV vielleicht den Bach runtergeht. Dass man in Bochum aus sehr ähnlicher Lage solidarisch ist, okay, aber dass hier Schalker, Gladbacher, Dortmunder, Fortunen etc. pp. vor dem Stadion aufliefen und schließlich eine Menge Solidarität gezeigt wurde, war angesichts des Images von der Grauen Maus doch sehr erstaunlich. Und natürlich auch sehr angenehm, Stichwort Rivalitäten und dieses künstliche Aufschütten von Gräben.

Interessant, dass Du RWE ansprichst, im selben Atemzug muss man ja auch Alemannia Aachen nennen. Ich kann mich nicht erinnern, dass da etwas Vergleichbares passiert wäre. Aber es ist sicher die Mischung aus dem Zeitgeist, den Du hier berechtigterweise erwähnst, und vielleicht doch ein wenig diesem Umstand, dass der MSV Duisburg auch für die übrigens Fans “irgendwie schon immer da war”, was für RWE wohl weniger gilt. Und dass man angesichts der neu in den Profifußball strömenden Clubs wie Leipzig, Ingolstadt oder Aalen auch ein wenig daran hängt, dass doch die alten Derbies und Kämpfe nicht mehr alle nur noch in der 4. Liga stattfinden können. Schaut man sich NRW an, ist außer Schalke, Dortmund und Gladbach von einst massig Erstligisten nichts mehr übrig geblieben (ich tue mich immer schwer, Leverkusen überhaupt als Verein zu sehen, aber das ist auch nur eine Frage des Sozialisierungszeitpunkts). Wenn dann aus dem Unterbau auch noch Duisburg und Bochum verschwänden, verschwände durchaus auch etwas, worauf man im Ruhrgebiet (in bestimmten Kreisen) immer noch stolz ist: dass hier Fußball besonders verbreitet ist. Also durchaus eine Art Stellvertretertod, den der MSV Duisburg gerade zu diesem Zeitpunkt gestorben wäre. Gut möglich, dass ich da jetzt mehr interpretiere als tatsächlich war oder ist. Überraschend bleibt die Anteilnahme dennoch und ich glaube, jeder wird es mir nachsehen, dass ich es auch persönlich ein wenig genossen habe, nach zwei Dekaden Grauemaussein auch einfach mal von anderen Seiten zu hören, dass man durchaus Sympathien oder Mitgefühl für diesen Club besitzt.

Bis endlich klar war, dass der MSV wenigstens in der Dritten Liga weitermachen darf, stand der Verein ohne Mannschaft und ohne Trainer da. Seit dem 0:1 gegen Heidenheim am ersten Spieltag gab es aber keine weitere Niederlage2 – hat sich die neue Mannschaft so schnell gefunden oder war da auch Glück dabei?

Ich hege grundsätzlich große Zweifel daran, ob gewesene Ex-Profis gute Manager abgeben. Einziges Glück bei diesen Fragen ist wohl, dass (fast) alle anderen Clubs auch immer noch auf Ex-Profis setzen und damit keinen Vorteil haben. Von den Ex-Profis ist Ivica Grlic, der Manager des MSV Duisburg, aber definitiv einer der fähigeren, wie man liest auch gut vernetzten, der noch dazu enorm hohes Identifikationspotenzial für diesen Verein besitzt. Ein echter Glückstreffer, dass so jemand dann auch in der 3. Liga noch beim MSV Duisburg arbeiten will. Lange Einleitung, kurze Aussage: Fußball ist immer sehr viel Glück, aber Grlic hat da schon sehr gute Arbeit geleistet, hat es den Anschein. Und eben auch zur rechten Zeit die richtigen Kontakte genutzt.

Es ist immer noch früh in der Saison, aber glaubst Du, dass schon dieses Jahr die Rückkehr in die Zweite Liga gelingen kann?

Puh, kann man schwer abschätzen. Ich gebe zu, ich habe keinerlei Ahnung von der Spielstärke der anderen Teams. Bin insgesamt aber schon ein bisschen geschockt, wie spielerisch schwach die 3. Liga bislang auf mich wirkt. Weil das beim MSV im Moment nicht ganz so ist und zu Hause die gute Stimmung hoffentlich noch lange anhält, könnte ich mir vorstellen, dass es möglich ist. Hier zittert dennoch jeder davor, dass aufgrund fehlender Vorbereitung irgendwann in dieser langen Saison der Einbruch folgt. Ich bin mit allem zufrieden, was nichts mit dem Abstieg zu tun hat, aber nach nur einem Jahr wieder bei sky statt beim MDR oder WDR zu sehen zu sein, wäre doch recht angenehm.

Zum Abschluss: Dein Tipp für Sonntag?

Ein lockeres 7:1 für den MSV. Vielleicht 7:2.

Das kann ich leider nicht gelten lassen, aber vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für den MSV – ab Montag wieder, versteht sich.

Trainer Baades Lesetour wird fortgesetzt, u. a. am 20.11. in Frankfurt.

1 Das soll wirklich keine Anspielung sein, der Mann ist in Topform – auch wenn sein Blog den Untertitel „Der Baade ist rund“ trägt.

2 Das Gespräch fand vor dem Spiel gegen den BVB II statt.