Hinter verschlossenen Türen
Ich hatte mir schon ein paar Formulierungen zurecht gelegt für meine kleine Vorschau zum morgigen Heimspiel des SVWW gegen Carl Zeiss Jena. Die immer gleichen Phrasen Gino Lettieris sollten thematisiert werden, die auf die Stärke oder Unberechenbarkeit des jeweils nächsten Gegners verweisen und doch nur wie Vorab-Erklärungen, wenn nicht sogar Freibriefe, für eigene dürftige Leistungen wirken. Ich wollte auch die immer gleichen Sprüche des jeweiligen gegnerischen Trainers nicht unerwähnt lassen, in denen zwingend von der Favoritenstellung und der angeblichen Finanzkraft Wehen Wiesbadens die Rede sein muss.
Aber all das scheint mir plötzlich nebensächlich, seit ich heute morgen diesen Artikel im WK gelesen habe. Darin ist die Rede von vielen Schicksalsschlägen, von denen ein Drittel des Kaders, also um die acht Spieler, in den letzten Monaten betroffen gewesen sei. „Krebsfälle im engsten Familienkreis, Herzinfarkt, Scheidung“ seien „noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs“. Ich möchte mir nicht ausmalen und erst recht nicht darüber öffentlich spekulieren, welche weiteren Ereignisse oder Probleme nicht offen ausgesprochen wurden und welche Spieler betroffen sind.
Ich bin generell ja eher vorsichtig mit Fundamentalkritik an einzelnen Akteuren und hier zeigt sich – leider – sehr deutlich, warum das auch angebracht ist: als Außenstehender weiß man schlichtweg nicht genug, um sich ein vernünftiges Urteil bilden zu können. Natürlich sehe ich, wenn ein Spiel schlecht ist und normalerweise sind auch diverse Gründe offensichtlich, angefangen von individuellen Fehlern über mangelnde Spielanlage (Stichwort: „hoch und lang“) bis hin zu scheinbar mangelndem Einsatzwillen, aber warum es dazu im Einzelnen kommt, das bleibt für uns verborgen. Dann wird natürlich gerne der Trainer in Frage gestellt (Taktik, Training, Führung etc.), oder auch der Geschäftsführer (Kaderplanung), oder auch den Spielern schlicht die notwendige Klasse abgesprochen. Dass die Akteure auf und neben dem Platz aber auch ihre kleinen – und offenbar auch großen – Probleme mit sich herumtragen, sehen wir von der Tribüne nicht – oder wollen es nicht sehen. Natürlich fällt es uns schwer, Verständnis aufzubringen, wenn ein Verteidiger drei Fehlpässe hintereinander direkt zum Gegner spielt, aber vielleicht sollten wir auf den Rängen (oder im Forum oder in den Kommentaren beim WK) uns alle ein wenig zurücknehmen. Auch wenn wir ihnen manchmal Tiernamen geben: das sind Menschen da auf dem Platz.
Die Verantwortlichen und Betroffenen werden ihre Gründe haben, warum sie der Öffentlichkeit bisher nichts erzählt haben. Zuallererst ist es natürlich auch Privatsache, gar keine Frage. Falls einer doch mehr erzählen möchte, sollte er mit Verständnis rechnen können, hat doch beispielsweise die Reaktion auf die diversen Burnout-„Geständnisse“ in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass eine gewisse Sensibilität bei der überwiegenden Mehrheit vorhanden ist.
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